Nur kein klares „Nein!“ ...

26.02.2004 08:00

Es lebten einmal in einem schönen Land drei edle alte Damen aus bestem Haus. Ihre Namen waren Eurelia, Romana und Pamela. Die drei wohnten in der gleichen Straße, einer noblen Gegend in einer noblen Stadt in einem wohlhabenden Staat. Aber mehr noch. Sie waren auch gute Freundinnen. Sie gingen gemeinsam Skat spielen, waren Mitglieder im städtischen Damenchor, besuchten jeden Sonntag die Abendmesse, machten mit beim Seniorenturnen, waren interessiert an Literatur, Kultur und Musik und unternahmen gerne auch Reisen in ferne Länder. Sie liebten feines Essen, modische Kleidung und Schmuck ebenso wie die gepflegte Atmosphäre eines heimeligen Kaminfeuers.

Bei einem ihrer gemeinsamen Skatabende hatte Pamela eine Idee: „Also meine Lieben, wir verstehen uns doch schon jahrelang so gut und lieben es, gemeinsam etwas zu unternehmen. Warum ziehen wir nicht alle drei gemeinsam in ein schönes großes Haus, das wir gemeinsam verwalten, wo wir uns gemeinsam wohl fühlen und das noch dazu jeder einzelnen von uns viel billiger kommt, als je ein eigenes Haus?“

„Das ist eine tolle Idee“, sagte Romana, „dann brauchen wir nicht mehr drei Küchen und drei Keller, wir brauchen nicht drei mal gesondert einkaufen gehen, nicht dreimal Wäsche waschen usw. Ich finde das ganz toll!“

„Ja, dann kann ich euch jeden Abend etwas Tolles kochen, es zahlt sich jedes Mal aus, den Geschirrspüler vollzuräumen und ich brauche nicht mehr mit der Hand abwaschen“, begeisterte sich Eurelia.

Gesagt – getan. Die drei alten Damen legten ihr erspartes Geld zusammen, kauften sich ein repräsentatives, großes Haus, richteten es wunderschön ganz in blau mit gelben Sternchen über den Fenstern her und besorgten sich edle, gemütliche Möbel. Bald war alles fertig, die alten Damen zogen ein und lebten wie im Paradies. Alles war so und noch viel besser, als sie es sich jemals zu träumen gewagt hätten. Alles funktionierte bestens. Ihre gemeinsamen Interessen, ihre gemeinsame Kultur und all ihre sonstigen Gemeinsamkeiten verbanden sie immer mehr und ihre Freundschaft wurde immer tiefer.

Für den Betrieb des großen Hauses sparten sie gegenüber ihren drei kleineren Häusern so viel Geld, dass sie sich sogar einen Gärtner leisten konnten, einen Butler und eine Wirtschafterin. Alles war perfekt.

Doch dann kam Szclojvensjkczkya! Sie wohnte einige Straßen weiter entfernt im Osten und hatte schon lange ein begehrliches Auge auf das schöne blaue Haus mit den gelben Sternen geworfen. Allzu gerne würde sie doch auch in dem schönen Haus wohnen, auch einen Butler haben und auch und auch und auch ....

Im Kaffeehaus sprach sie die drei edlen Damen an „Hallo, ich bin Szclojvensjkczkya, ich wohne ganz in der Nähe östlich von euch, ihr kennt mich doch sicherlich? Darf ich mich zu euch setzen?“ Die alten Damen blickten sich etwas verwundert an, wollten aber ihre noble Höflichkeit nicht vermissen lassen. Noblesse oblige! Sie konnten nicht „Nein!“ sagen.

„Bitte“ murmelte Pamela etwas indigniert. Flink grapscht sich Szclojvensjkczkya einen Stuhl und schon war sie mitten drin. „Also ich habe da folgende Idee: In eurem großen Haus ist doch so viel Platz. Ich habe gesehen, dass einige Zimmer leer stehen. Da könnte ich doch bei euch einziehen? Wäre das nicht toll?“

Romana blickt erstaunt, das hatte niemand erwartet. Aber es kam noch weit mehr nach: „Leider Gottes bin ich ja nicht so reich wie ihr und deswegen wäre es nur gerecht, wenn ich bei Euch einziehe, dass ihr mir dafür monatlich eine Miete zahlt! Muss ja nicht viel sein, so halt 15 % bis 20 % eurer Einnahmen. Damit wäre ich dann ungefähr auch so vermögend wie ihr und das wäre gerecht, denn alle Menschen sind gleich und ihr würdet ein gutes Werk tun und könntet mir helfen!“

Unsere drei Damen waren vorerst äußerst erstaunt, aber sie konnten nicht „Nein!“ sagen. Irgendwie hatten sie damit nicht gerechnet, andererseits aber war schon etwas Wahrheit daran, wenn man Gutes tun kann, das Zimmer war sowieso leer, warum eigentlich nicht? Man konnte es sich ja schließlich leisten.

„Also bevor wir dir das erlauben, musst du dich natürlich schon adrett herrichten“ sagte Romana. „So schlecht riechend und gekleidet, wie du daherkommst, passt du ganz einfach nicht in unsere upper class Gesellschaft“. Darüber war Szclojvensjkczkya alles andere als entsetzt: „Ach, das ist für mich gar kein Problem, rückt ein paar tausend Euro rüber, Dior ist meiner und ihr müsst euch für meine Gesellschaft nicht mehr so schämen!“

„Aber wir erbitten uns noch etwas Bedenkzeit“ sagte Eurelia, da sie nicht „Nein“ sagen konnte. „Du darfst erst frühestens in 6 Monaten bei uns einziehen und außerdem musst du auch einen Vertrag unterschreiben, wonach du nicht mehr Geld ausgeben darfst, als du von uns bekommst. Wirst du das auch einhalten können?“

„Natürlich!“ jubilierte Szclojvensjkczkya. Der Vertrag wurde geschlossen und Szclojvensjkczkya zog ein. Sie war zwar etwas laut in ihrem Zimmer, manchmal bis spät in die Nacht, sodass die alten edlen Damen nicht schlafen konnten, manchmal kochte sie auch so stark mit Knoblauch und Zwiebeln, dass die alten Damen das Haus verlassen mussten, aber was soll’s! Dass man aufgrund der Geldansprüche von Szclojvensjkczkya den Butler kündigen musste, war ja schlussendlich zu verkraften.

Was die alten Damen aber nicht so bedacht hatten: Das Beispiel machte Schule. Eine entfernte Verwandte von Szclojvensjkczkya, aus einer fremden Stadt, mit Namen Akyakürtüzkya fand immensen Gefallen am nunmehrigen neuen Leben von Szclojvensjkczkya. Diese schilderte ihr ja auch die Vorteile des großen blauen Hauses mit den gelben Sternen in glühenden Farben, sodass sie gar nicht umhin konnte, unbedingt auch in dieses große blaue Haus ziehen zu wollen. Immerhin hat man es ja auch Szclojvensjkczkya erlaubt, warum nicht auch ihr? Die alten Damen konnten ohnehin nicht „Nein!“ sagen.

Schlussendlich zog auch Akyakürtüzkya ein. Die zu bezahlende Miete an sie war nur 30 % höher als an Szclojvensjkczkya, man sparte die Wirtschafterin ein und schon ging es wieder irgendwie. Man musste jetzt halt nur wieder selbst Wäsche waschen und den Müll raustragen, den Szclojvensjkczkya und ihre Freundin Akyakürtüzkya verursachten, aber das ging schon irgendwie. Die Damen waren ja noch rüstig, der Gärtner musste halt auch mit dem halben Gehalt auskommen und man konnte sowieso nicht „Nein!“ sagen.

Das praktizierte Mietmodell fand in der einschlägigen Fachwelt naturgemäß breites Interesse. In ein schönes, fertiges Haus einzuziehen und dafür Miete zu erhalten, war betriebswirtschaftlich gesehen der Weisheit letzter Schluss und schließlich wurde Szclojvensjkczkya als Erfinderin mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Als Fachberaterin in dieser Angelegenheit, begehrte Diskussionsteilnehmerin in den Talkshows und Vortragende in entfernten Ländern, fand sie eine zunehmend wachsende Zuhörerschaft und viele begeisterte Anhängerinnen.

Bei ihren Vorträgen fiel die Saat im Auditorium auf fruchtbaren Boden. Viele Zuhörerinnen beschlossen spontan, sich auch für eine Wohnung im blauen Haus anzumelden. Der schwere Nachteil, dass man nicht mehr ausgeben durfte, als man vom blauen Haus bekam, würde doch sicherlich nachverhandelt werden können. Die alten Damen konnten doch ohnehin nicht „Nein“! sagen.

Schön langsam quoll das blaue Haus von neuen Mitbewohnern förmlich über. Noch dazu gab es eine Reihe von Neuanträgen, welche – systemkonform – jeweils alle nur noch auf die Zusage warteten. Einziges Kriterium war die Wartezeit, denn man konnte nicht „Nein!“ sagen. Einige wurden nach 6 Monaten aufgenommen, andere allerdings erst nach 9 Monaten. Doch das war zu verkraften.

Der Gärtner musste mittlerweile gekündigt werden und die Sparguthaben der alten Damen waren weg. Auch hier erkannte die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Szclojvensjkczkya sofort messerscharf den Vorteil: „Seit froh, dann braucht ihr wenigstens keine Kapitalertragsteuer mehr zu zahlen!“

Stattdessen lebte man im blauen Haus auf Kredit. Der Hausbank war es vorerst sehr recht, schließlich hatte man ja als Pfand das blaue Haus, in der wertvollen, besten Lage der Stadt und verdiente schöne Zinsen an den alten Damen. Der Bankbetreuer der alten Damen war ein langjähriger Freund aus der Skatrunde, der ohnehin alles zum Besten richtete.

Die vielen neuen Mitbewohner verhalfen der Stadt zu einer neuen Art des Lebensstils, zu viel mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit der Bürger und einigen Branchen zu unerwartetem Aufschwung und auch zu vielen neuen Arbeitsplätzen: Nun war es vorbei mit diesem achtlosen Spazierengehen, Flanieren in den Prunkstraßen, sorglosen Herumsitzen in Straßencafes. Endlich wurde sich der Bürger der Bedeutung von Handtaschen, Bargeld und Creditcards bewusst und erlebte hautnah die wahre „Volatilität“ dieser Wertgegenstände. Vorbei war es mit dem gedankenlosen Liegenlassen von Einkaufstaschen oder Zigaretten oder Parkmünzen in Autos. So einen Fehler durfte man nur einmal machen, dann war das Auto weg. Die Lautsprecher in den öffentlichen Verkehrsmitteln warnten vor den Picpockets und die Security-Branche boomte in allen Facetten. Die Polizei stellte 10.000 neue Beamte ein, die Wirtschaftskammer feierte die Gründung einer neuen Fachhochschule „High Security College“ mit Magister-Abschluss Mag. (HS). Privat- und Kaufhausdetekteien erzielten endlich nach jahrzehntelangem dahinsiechen 2-stellige Auftragszuwächse (pro Woche) und schufen so abertausende neue Arbeitsplätze.

Schlossereien und Tischlern erging es ähnlich, sie konnten sich vor Aufträgen zur Verbarrikadierung von Geschäftslokalen, Einfamilienhäusern und Garagen gar nicht mehr erwehren.

Der Stadt war es durch die neuen Mitbewohner endlich gelungen, von der Dienstleistungsgesellschaft – über die Informationsgesellschaft – zur nächst höheren Stufe in die Securitygesellschaft aufzusteigen! Der einzige kleine Haken an diesen vielen neuen Arbeitsplätzen war nur, dass sie allesamt eigentlich nicht produktiv waren. Der Volkswirtschaftsprofessor, der dies in einem Fachartikel aufzeigte, musste anschließend auf Antrag des rumänischen Wertausgleichs-Ministers emeritieren, weil man nicht „Nein!“ sagen konnte und der Professor ohnehin mit 56 Jahren zu alt war.

Dass das natürlich einigen wohlhabenden Bürgern, nur weil sie selbst aus eigenem Verschulden Opfer wegen verminderter Security geworden sind nicht passte, musste eben in Kauf genommen werden. Dafür war man aber multikulturell, weltoffen und tolerierte alles, weil man ohnehin nicht „Nein!“ sagen konnte. Sollten all diese ängstlichen, kleinlichen Reichen ruhig aus der Stadt ausziehen mit ihren ganzen Vermögen ins sonnige Kalifornien zu Arnie! Sie werden dort schon schauen ....! ..... in der Sonne ...... am Strand ......!

Die alten Damen selbst waren nun zunehmend auf Reisen. Der ganze Wirbel im blauen Haus mit den vielen Bewohnern, die ewigen Streitereien zwischen den neuen Mitbewohnern, die dauernden Messerstechereien, der ganze Dreck und Gestank, der sich entwickelt hatte, weil niemand sich für das Wegräumen des Mistes zuständig fühlte, all das machte ihnen das Leben zu Hause zu einer unerträglichen Qual. Sie konnten ja nicht einmal in Ruhe ausschlafen, weil dauernd irgend etwas los war. Unterwegs jedoch in den fernen Ländern mieteten sie sich in ein schönes Appartementhaus ein, hielten dieses in Ordnung und genossen die Ruhe. Da lachten und scherzten sie wieder zusammen, konnten gepflegte Tischgespräche führen, ohne dass sie irgendjemand niederbrüllte, ungestört ihre klassische Musik statt des Muezzin hören und verträumt und sentimental an die schönen Zeiten zu Beginn des blauen Hauses denken. Unangenehm war nur, dass diese Urlaube doch einiges an Geld verschlangen. Aber ihr guter alter Freund, der Bankbetreuer, sorgte schon für die Finanzierung.

Als ihr Bankbetreuer - zwar nicht unerwartet, aber umso mehr mit Wehmut verabschiedet – in Pension ging, wehte jedoch plötzlich von Seiten der Bank ein anderer Wind. Der neue, junge Magister, welcher nun dem blauen Haus als Betreuer zugewiesen wurde, beurteilte dessen Zustand, Ertragskraft und vor allem Bonität plötzlich emotionslos, nüchtern und sachlich und fällte ein vernichtendes Urteil: die drei alten Damen und das gesamte blaue Haus mit den gelben Sternen war hoch überschuldet, nicht mehr weiter kreditfähig und ein Sanierungs- wenn nicht gar ein Konkursfall!

Die Pensionen der alten Damen wurden von der Bank gepfändet, das blaue Haus zur Versteigerung ausgeschrieben.

Sue Allen, eine flotte Amerikanerin ohne Soziallast und Arbeitsrecht, dafür aber mit viel Technology, Know-how und frischem Schwung übernahm die alte blaue Hütte mit den gelben Sternen. Sie musste zwar im Kaufvertrag zusichern, dass auch sie nicht „Nein!“ sagen durfte. Als aber Szclojvensjkczkya und Co auf die Erfüllung ihrer Mietforderungen pochten, sagte Sue Allen ganz einfach: „No, I’m sorry!“ Sie erklärte kurzerhand alle Mietverträge für ungültig, warf alle Mitbewohnerinnen hinaus, pfiff sich keinen Deut um deren Klagen zwecks Aufrechterhaltung der Mietzahlungen und verwies die großsprecherische Szclojvensjkczkya und Akyakürtüzkya freundlich lächelnd an ihre zwei Bodyguards, womit sich die Sache schnell erledigte.

Sue Allen gefiel aber das blaue Haus mit den gelben Sternen und der großen Geschichte, sie nahm ein paar Millionen Dollar in die Hand, renovierte es wieder und brachte es in Schwung. Eine französische Köchin wurde angestellt, ein englischer Butler kam, ebenso ein neuer holländischer Gärtner und ein neuer italienischer Chauffeur. Bald erstrahlte das blaue Haus mit den gelben Sternen wieder im alten Glanz im noblen Viertel dieser schönen Stadt und der Bürgermeister kam mit einer Delegation des Stadtrates und gratulierte Sue Allen mittels Ehrenbürgerschaft dafür, dass sie zur Verschönerung des Stadtbildes so viel beigetragen hatte und außerdem die so lange vermisste Ruhe und Ordnung nach dem Auszug der vielen Mitbewohnerinnen wieder hergestellt war. Nun konnte man sich in der Stadt wieder frei bewegen, konnte ruhig mal etwas liegen lassen, ohne dass es gleich weg war. Konnte Autos bedenkenlos an den öffentlichen Plätzen stehen lassen und brauchte sich nicht jeden Abend Fenster und Türen der Häuser und Wohnungen verbarrikadieren. Man konnte wieder abends ohne Leibwächter spazieren gehen und die Kriminalitätsrate sank erheblich auf ein Maß, wie es sich für eine zivilisierte und kultivierte Stadt gehörte.

Was aber ist aus unseren alten Damen geworden? Diese sitzen nun im städtischen Sozialheim in einem Vierbettzimmer und leben von den unpfändbaren Teilen ihrer Pensionen, da sie den Rest in Erfüllung ihrer Mietverträge noch bis auf immer und ewig an Szclojvensjkczkya, Akyakürtüzkya und ihre Mitbewohnerinnen zahlen müssen ......

Ihr ergebener Dr. W.!